Law and Robots Workshop 2020 – 19. November 2020

Digital unterwegs. Herausforderungen, Lösungsansätze & Zukunftsszenarien

Im Jahr 2025 gehen selbstfahrende Autos in Serienproduktion. Glauben Sie (noch) an diese Prog­nose? Nach Jahren der Forschung mit neuer Computer- und Steuerungstechnologie, Innovatio­nen bei Sensoren und einer Vielzahl von Pilotprojekten scheint der Blick auf die Vision einer voll­automatisierten Autofahrt auf öffentlichen Strassen nüchterner. Gleichzeitig schalten manche Autofahrer einfach auf «Autopilot» um und in den Innenstädten Europas beherrschen vernetzte Fahrräder das Stadtbild. Viele Menschen sind digital unterwegs. Die Herausforderungen für Tech­nik und Recht gestalten sich aber anders als noch vor einem Jahrzehnt erwartet.

Sind es technische oder rechtliche Hürden, die der Ersetzung des Menschen auf dem Fahrersitz entgegenstehen? Warum lässt sich die Haftungsfrage nicht einfach durch eine Versicherungslö­sung bewältigen? Weil unklar ist, wer das Auto lenkt, wenn der menschliche Fahrer verschwin­det? Wie weit reicht eine Anerkennung des Autos als Lenker: Könnte es vor Gericht als eine Art Zeuge auftreten, weil es genau weiss, wer wo die letzten Abende verbracht hat?

Die Tagung widmet sich solchen Technik- und Rechtsfragen digitalisierter Mobilität – von Grund­satzüberlegungen bis hin zu speziellen haftungs-, daten- und versicherungsrechtlichen Proble­men. Spokenword-Künstler erklären, was passiert, wenn der Laster das Auto übersieht und in einer Podiumsdiskussion tauschen Datenschützer, Nutzer, Gegner und Befürworter der E-Trottis ihre Argumente aus.

Flyer
Lebensläufe der Referenten

Präsentationen zum Download (Für Download Titel anklicken): 

  • Datensicherheit und Datenschutz: Treibstoffe für automatisiertes Fahren? (Prof. Dr. Dominik Hermann, Universität Bamberg (D))
    Der Übergang zum automatisierten Fahren ist in erster Linie ein Übergang zum vernetzten Fahren. Automatisierte Fahrzeuge sammeln Positions- und Sensordaten, die sie nicht nur im Fahrzeug verarbeiten, sondern auch an ihre Hersteller übermitteln und mit weiteren Dienstanbieter teilen. Im Vortrag wird an Beispielen aus Forschung und Praxis aufgezeigt, welche Rolle Safety und Security in solchen Systemen spielen, wieso der Schutz der Privatsphäre nicht vernachlässigt werden sollte und welche technischen Schutzmechanismen wir erwarten können.
  • Datenverbund auf der Strasse – Zukunftsprojekte? (Markus Riederer, ASTRA, Bern)
    Wie erreichen wir die Mobilität, die wir wollen? In Bezug auf automatisiertes Fahren ist der Bundesrat laut seinem Bericht vom Dezember 2016 der Meinung, dass nur vernetzt eine effiziente Mobilität möglich ist. Mittels Vernetzung werden Daten ausgetauscht. Dazu schlägt das UVEK in seinem Bericht vom Dezember 2018 einen gemeinsam betriebenen und selbstlernenden Datenverbund nach bedingter Open Data vor. Damit sollen sich die heutigen automatisierten Fahrzeuge nicht mehr wie übervorsichtige Lernfahrer verhalten, sondern sich im Verkehr zumindest so gut zurechtfinden wie menschliche Fahrer. Folglich sollen darum möglichst alle Verkehrsteilnehmende einbezogen werden, schliesslich werden u.a. Fussgänger und Velobenutzer sich weiterhin die Strassen mit automatisierten Fahrzeugen teilen. Mehr noch sollen nach der Idee von Mobility as a Service (MaaS) alle Verkehrsteilnehmende, Verkehrsmittel und Verkehrsträger möglichst untereinander vernetzen, um eben die Mobilität zu erreichen, die wir wollen. Als Motivation zum Datenaustausch schlägt der Bericht des UVEK bedingte Open Data vor: Prinzipiell stehen alle Daten des Datenverbundes allen frei zur Verfügung. Diejenigen aber, die damit ein Geschäftsmodell realisieren, müssen Daten in den Datenverbund zurückspeisen, wobei diese Daten wieder allen frei zur Verfügung stehen. Informationen, also raffinierte Daten, sollen aber weiterhin frei auf dem Markt handelbar sein. Mit der Verkehrsdatenplattform (VDP), die das ASTRA im April 2020 in Betrieb genommen hat, wird diese Idee in einem ersten Schritt für Daten von Strassenzählern umgesetzt. Die VDP soll später mit der angedachten Nationalen Dateninfrastruktur Mobilität (NaDIM) zusammenwachsen, wo das BAV die Daten für multimodale Mobilität zur Verfügung stellen will.
  • Datenschutz auf öffentlichen Strassen? (Prof. Dr. Nadja Braun Binder, Juristische Fakultät der Universität Basel)
    Wer auf der Strasse, der Schiene oder in der Luft unterwegs ist, wird heutzutage digital begleitet. Verkehrsanwendungen, private und staatliche Sensoren oder vernetzte Fahr¬zeuge erfassen und messen unsere Bewegungen im öffentlichen Raum und unseren Auf-enthalt an privaten Orten. Durch die Auswertung kombinierter Daten lassen sich Bewe-gungs- und Persönlichkeitsprofile erstellen; es droht die Gefahr des Kontrollverlustes über Bewegungs- und Beziehungsdaten. Welche Antworten auf diese Gefahren hält das schweizerische (Datenschutz-)Recht bereit? Wo bestehen diesbezüglich Lücken und wie könnten diese geschlossen werden? Mit diesen Fragen befasst sich Nadja Braun Binder in ihrem Vortrag.
  • Auto als Lenker (Arjan van Vliet, Ministerie van Infrastructuur & Waterstaat, Den Haag (NL))
    Arjan van Vliet blickt in seinem Vortrag auf die Ziele und Ereignisse der niederländischen EU-Ratspräsidentschaft ab 2016 zurück: «Die Erklärung von Amsterdam». Er wird einen Einblick in den aktuellen rechtlichen und gesellschaftlichen Aspekt der Automatisierung der Mobilität geben und seine Gedanken über die zukünftige Mobilität erläutern.
  • Mensch als Lenker (Stefan Huonder, ASTRA, Bern)
    Die Aufgaben des Fahrzeuglenkers haben sich bereits mit dem Aufkommen von Assistenz¬systemen verändert. Mit dem Aufkommen von Fahrzeugen mit Automatisierungssystemen wird der Lenker weiter von seinen Pflichten entlastet, bis er eines Tages zu einem blossen Fahrzeuginsassen wird. Als problematisch erweisen sich in diesem Prozess Systeme, die dem Lenker die Bedienung des Fahrzeugs abnehmen, die aber verlangen, dass der Lenker stets eingriffsbereit bleibt oder dass er auf Aufforderung hin die Fahrzeugsteuerung inner¬halb einer kurzen Zeitspanne wieder übernimmt. Wie ist der Umgang des ASTRA mit diesen Entwicklungen? Es ist zu erwarten, dass ab dem nächsten Jahr erste Fahrzeuge mit typen¬genehmigten Automatisierungssystemen auf den Strassen verkehren werden. Was soll der Lenker tun dürfen, wenn er das Automatisierungssystem aktiviert hat, besteht ein Rechts-anpassungsbedarf?
  • Versicherungsrechtliche Perspektive (Dr. Clemens von Zedtwitz, LL.M., gbf Attorney-at-law Ltd., Zürich)
    Die Versicherung bezweckt die Bewältigung von Unsicherheit und Risiko. Sie kann damit auch unternehmerisches Potenzial freisetzen. In der Praxis zeigen sich verschieden Arten von Versicherungslösungen, wobei im Bereich der Motorfahrzeugversicherung insbesondere die Kasko- und Motorfahrzeughaftpflichtversicherung von Bedeutung sind. Die Haftpflichtversicherungslösungen folgen dabei grundsätzlich dem jeweiligen Haftungsregime und helfen damit (nur) mittelbar, Haftungsfragen zu bewältigen. Das automatisierte Fahren hat aber unbesehen dessen erheblichen Einfluss auf beide dieser Bereiche.
  • Digitale Spuren und deren Auswertung – Datenforensik am Auto (Dipl. Ing. Hannes Winkler, FOR, Zürich)
    Die digitalen Spuren sind ein Bestandteil bei der Spurensicherung auf Unfallstellen. Digitale Unfallspuren sind im Fahrzeug insbesondere im Event Data Recorder (EDR) aufgezeich¬net. Sie können aber auch in Diagnose- oder Informationssystemen eines Fahrzeugs ge¬speichert sein. Diese Systeme sind oft komplex sowie von Herstellern oder Zulieferern ab¬hängig. Angaben der Hersteller zu den gespeicherten Daten, den genauen Definitionen und Grenzen der Daten sind unumgänglich. Die Zusammenarbeit mit den Herstellern ist unter¬schiedlich erfolgreich und erfolgt häufig über die Rechtsabteilung des Herstellers.
  • Menschaussage gegen Maschinenbeweis – Strafverteidigung gegen das eigene Auto? (Dr. Nina Blum, Advokat Blum, Basel)
    In ihrem Vortrag wird Nina Blum der Frage nachgehen, wie man sich verteidigen kann, wenn das eigene Auto im Strafprozess als Beweis gegen einen verwendet werden soll. Als Ausgangspunkt dient der in den Medien bekannt gewordene Fall eines Politikers, der im September 2015 auf die Gegenfahrbahn geriet und mit einer Rollerfahrerin zusammenstiess. Er wurde wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand und fahrlässiger schwerer Kör¬perverletzung per Strafbefehl zu einer bedingten Geldstrafe und einer Busse verurteilt. Der Beschuldigte sagte, er habe sich vor und während der Fahrt fit gefühlt. Gemäss der Staatsanwaltschaft sei er indes gefahren, obwohl er übermüdet gewesen sei. Da während der Fahrt mehrere Male die Spurhalte- und Bremsassistenz tätig wurde, hätte er sich dessen bewusst sein müssen. Ausserdem wurde die Dashcam ausgewertet und ein verkehrstechnisches Gutachten erstellt. Fahrzeuge mit Müdigkeitserkennungssystem, welches die Fah¬rerin und das Fahrverhalten analysiert, nehmen auch in der Schweiz zu. Es fragt sich, ob solche Systeme zuverlässig genug sind, um im Strafprozess als Beweis verwendet zu wer¬den und wie die Verteidigungsrechte bei der Erhebung und Auswertung solcher Daten gewahrt werden können.